Technologie-Souveränität durch europäische Gesetzgebung? : Der Entwurf des neuen EU Chips-Act und sein regulatorisches und politisches Framework
Halbleiter sind das Rückgrat der Digitalwirtschaft – zu diesem Ergebnis ist auch die EU gelangt. Das Thema digitale Souveränität wird mit Sicherheit eine der Schlüsselfragen der 2020er-Jahre, ist jedoch mehr und mehr vom Funktionieren weltweiter Lieferketten abhängig – und in einer Zeit wachsender politischer Spannungen und Unsicherheiten mit erheblichen Herausforderungen verbunden. 22 europäische Mitgliedstaaten haben daher bereits im Dezember 2020 eine gemeinsame Erklärung unterzeichnet, in der sie ihren Wunsch nach Zusammenarbeit in der europäischen Technologieentwicklung bekräftigt haben.
Von Dennis-Kenji Kipker, Bremen
Wie stark heutige Fertigungs- und Lieferprozesse auf weltweite Stabilität angewiesen sind, hat unlängst die Corona-Pandemie gezeigt – Unfälle auf wichtigen Handelsrouten, politische Konflikte und Kriege sorgten und sorgen ebenfalls für Probleme. Als Beispiel hat etwa die EU-Kommission die in einigen Mitgliedstaaten erheblichen Produktionskürzungen in der Automobilindustrie im vergangenen Jahr angeführt, die vor allem auf den Mangel von Halbleitern aus Fernost zurückzuführen waren. Dies belegt eindrücklich, wie die Wettbewerbsfähigkeit, Resilienz und weitere Digitalisierung des europäischen Binnenmarktes in erheblicher Weise von der Halbleiterentwicklung abhängig sind.
Mehr als ein Gesetz
Mit dem EU Chips-Act wird in Zukunft anvisiert, die Ziele der europäischen digitalpolitischen Strategie umzusetzen. Das bedeutet unter anderem, dass die EU bis zum Jahr 2030 über einen globalen Marktanteil von 20 % in der Halbleiterfertigung verfügen will. Dieses Ziel lässt sich nicht durch eine einzelne rechtliche Regulierung erzielen, sondern erfordert umfassende Investitionen, neue Regularien sowie erhebliche Umstrukturierungspläne für die europäische Digitalwirtschaft, weshalb der EU Chips-Act nur einen – wohl aber den Hauptbestandteil – eines umfassenderen Rahmenwerks bilden wird (vgl. [1]), das sich aus den folgenden Komponenten zusammensetzt:
- a Chips Act for Europe [2]
- a Regulation establishing a framework of measures for strengthening Europe‘s semiconductor ecosystem (Chips Act) including Annex I: Actions – Technical description of the Initiative: scope of actions, Annex II: Measurable Indicators to Monitor the Implementation and to Report on the Progress of the Initiative Towards the Achievement of its Objectives, and Annex III: Synergies with Union Programmes [3]
- a Council Regulation amending Regulation (EU) 2021/2085 establishing the Joint Undertakings under Horizon Europe, as regards the Chips Joint Undertaking [4] Commission Recommendation on a common Union toolbox to address semiconductor shortages and an EU mechanism for monitoring the semiconductor ecosystem [5]
Sofortmaßnahmen
Die „Common Union Toolbox“ liefert dabei erste operative Maßnahmen schon vor Inkrafttreten des Chips-Act. Sie verfolgt das Ziel, eine rasche, wirksame und koordinierte Reaktion der EU auf die derzeitigen Lieferengpässe bei Halbleitern und auf künftige ähnliche Fälle zu ermöglichen, indem ein Überwachungsmechanismus durch eine europäische Expertengruppe für Halbleiter aktiviert wird.
Dazu gehört allem voran eine aktive Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten, um Informationen über den aktuellen Stand der Halbleiterkrise auf den jeweiligen nationalen Märkten auszutauschen – entsprechend sind von Unternehmensverbänden beziehungsweise von einzelnen Halbleiter- oder Geräteherstellern Informationen über deren Liefervermögen einzuholen. Überdies umfasst die Risikobewertung die Erfassung geeigneter Frühwarnindikatoren mit Blick auf Störungen der Halbleiter-Lieferkette.
Ähnlich wie schon in den vergangenen Jahren für die kritischen Infrastrukturen wird den Mitgliedstaaten vorgeschlagen, die wichtigsten Kategorien von Halbleiteranwendern zu ermitteln – besonders auch solche aus kritischen Sektoren. Dazu werden einschlägige Interessenverbände, einschließlich Branchen- und Industrieverbänden, und Vertreter der wichtigsten Anwenderkategorien dazu aufgefordert, Informationen zu folgenden Punkten zu übermitteln, welche die Mitgliedstaaten für eine Meldung an die EU-Kommission nutzen können:
- ungewöhnliche Nachfragesteigerungen
- bekannte Störungen der Lieferketten Nichtverfügbarkeit wichtiger Halbleiter oder Rohstoffe
- überdurchschnittlich lange Vorlaufzeiten Lieferverzögerungen
- außergewöhnliche Preissteigerungen
Entsprechende kurzfristige Krisenreaktionsmaßnahmen mit Blick auf die strategische Halbleiterversorgung in der EU können gemäß der Kommissionsempfehlung Folgendes umfassen:
- Dialog mit Herstellern: Vorrang für krisenrelevante Produkte, um die Betriebskontinuität von kritischen Sektoren zu gewährleisten
- Erteilung eines Mandats an die EU-Kommission, damit diese als zentrale Beschaffungsstelle im Namen von zwei oder mehr Mitgliedstaaten bei der Vergabe öffentlicher Aufträge für krisenrelevante Produkte für bestimmte kritische Sektoren tätig wird
- Ausfuhrkontrolle von krisenrelevanten Produkten
- Aufnahme von koordinierten Konsultationen oder Zusammenarbeit mit Drittländern, um kooperative Lösungen zur Bewältigung von Unterbrechungen der Lieferkette zu finden
Der vorläufige Charakter dieser Empfehlung der EU-Kommission wird durch die entsprechende Bestimmung im Dokument deutlich, dass die Empfehlung nach Inkrafttreten des EU Chips-Act aufgehoben werden kann – gleichzeitig verdeutlicht dies aber auch die schon gegenwärtige Relevanz des Themas, indem die EU Kommission von einer fortdauernden „Halbleiterkrise“ spricht. Deshalb bilden die zuvor in der „Toolbox“ beschriebenen Maßnahmen einen Weg, um bereits jetzt kurzfristig zu reagieren, ohne den weiteren zeitlichen Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens des EU Chips-Act abwarten zu müssen.
Mittelfristig verfolgt die europäische Strategie den Ansatz, die Fertigungs- und Entwicklungskapazitäten innerhalb der EU zu stärken, um durch verbesserte Technologie-Souveränität ein höheres Maß an Resilienz zu gewährleisten. Das langfristige politische Ziel der EU-Kommission liegt in der Übernahme der technologischen Führungsrolle im Halbleitersegment und der damit verbundenen wirtschaftlichen Souveränität im globalen Rahmen. Diese Entwicklung wird durch eine umfassende finanzielle Förderung der EU zur Halbleiterentwicklung im Rahmen der sogenannten „Chips for Europe“-Initiative (s. u.) und des „EU Chips Fund“ unterstützt und adressiert vor allem die Bereiche High-Performance-Computing, künstliche Intelligenz und Cybersecurity.
Zentrale Definitionen
Der inklusive der Begründung und haushaltsrechtlicher Rahmenbedingungen insgesamt 101 Seiten lange Entwurf des EU Chips-Act lässt sich mit seinen Vorgaben in diese europäische Gesamtstrategie einordnen und gibt so gesehen vertiefend und strategisch langfristig die Vorgaben der aktuell geltenden europäischen Toolbox zur Überwachung des Halbleiter-Ökosystems wieder. Daher finden sich hier an verschiedenen Stellen teils auch inhaltliche Überschneidungen.
Zu Beginn des Gesetzes werden in Kap. 1, Art. 2 zentrale und teils weit gefasste Begriffsdefinitionen aufgeführt, von denen an dieser Stelle einige aufgeführt werden sollen:
- Halbleiter: Material, entweder elementar, wie Silizium, oder eine Verbindung wie Siliziumkarbid, dessen elektrische Leitfähigkeit verändert werden kann – oder ein Bauteil, das aus einer Reihe von Schichten aus halbleitenden, isolierenden und leitenden Materialen besteht, die nach einem vorgegebenen Muster angeordnet sind, und das dazu bestimmt ist, genau definierte elektronische oder photonische Funktionen oder beides zu erfüllen
- Chip: elektronisches Bauelement, das verschiedene Funktionselemente auf einem einzigen Stück Halbleitermaterial umfasst – typischerweise in Form von Speicher-, Logik-, Prozessor- und Analoggeräten –, auch als „integrierte Schaltung“ bezeichnet
- Halbleiter-Lieferkette: System von Tätigkeiten, Organisationen, Akteuren, Technologie, Informationen, Ressourcen und Dienstleistungen, die an der Produktion von Halbleitern beteiligt sind, einschließlich Rohstoffen, Fertigungsanlagen, Entwurf, Herstellung, Montage, Prüfung und Verpackung
- Halbleiter-Wertschöpfungskette: Gesamtheit der Tätigkeiten im Zusammenhang mit einem Halbleiterprodukt von seiner Konzeption bis zu seiner Endanwendung, einschließlich Rohstoffen, Fertigungsanlagen, Forschung, Entwurf, Herstellung, Prüfung, Montage und Verpackung bis zur Einbettung und Validierung in Endprodukten
- Krisenrelevante Produkte: Halbleiter, Zwischenprodukte und Rohstoffe, die zur Herstellung von Halbleitern oder Zwischenprodukten benötigt werden, die von der Halbleiterkrise betroffen oder von strategischer Bedeutung für die Behebung der Halbleiterkrise oder ihrer wirtschaftlichen Auswirkungen sind
Chips for Europe
Das zweite Kapitel des Gesetzentwurfs definiert die Grundsätze der „Chips for Europe“-Initiative. Hierzu gehören neben dem zeitlichen Rahmen auch die Anknüpfung an die Förderprogramme „Horizon Europe“ und „Digital Europe“. Art. 4 legt mit den Zielen fest, dass Technologie zu entwickeln ist, die weit über den aktuellen Stand der Technik hinausgeht. Dazu werden fünf Zielsetzungen operationialisiert:
- der Aufbau fortgeschrittener, in der Breite angelegter Entwurfskapazitäten für integrierte Halbleitertechnologie,
- die Verbesserung bestehender und Entwicklung neuer fortschrittlicher Pilotlinien, der Aufbau neuer Entwicklungskapazitäten für Quanten-Chips,
- der Aufbau eines Netzwerks von Kompetenzzentren für Halbleiter in der EU und
- die Einrichtung des „EU Chips Fund“, um besonders Start-ups, Scale-ups und KMUs einen erleichterten Zugang zu Finanzierungsmöglichkeiten zu gewähren.
Ein „European Chips Infrastructure Consortium“ (ECIC) begleitet dabei die Durchführung förderfähiger Maßnahmen und erstellt einen jährlichen Tätigkeitsbericht (Art. 7). Die Einrichtung und die Aufgaben des europäischen Netzwerks von Kompetenzzentren für Halbleiter werden in Art. 8 beschrieben – das umfasst unter anderem die Beschleunigung von Entwicklungsprozessen, den Kompetenzaufbau, die Erleichterung des Wissenstransfers sowie die Entwicklung von Ausbildungskapazitäten und eines europäischen Talentpools zur Begegnung des Fachkräftemangels.
Prof. Dr. iur. Dennis-Kenji Kipker ist Professor für IT-Sicherheitsrecht an der Fakultät für Elektrotechnik und Informatik der Hochschule Bremen (HSB), Legal Advisor im Competence Center Information Security und CERT des VDE, Vorstandsmitglied der Europäischen Akademie für Informationsfreiheit und Datenschutz (EAID) sowie Geschäftsführer der Certavo-Beratungsgesellschaft in Bremen (https://denniskenjikipker.de/).
Schutz der Lieferkette
Kapitel 3 hat den Schutz der Halbleiter-Lieferkette zum Gegenstand und regelt mit Art. 10 die Förderung von sogennanten „integrierten Produktionsanlagen“ (Integrated Production Facilities) als „First-of-a-kind Facilities“. Darunter zu verstehen sind Industrieanlagen zur Halbleiterherstellung für die gesamte Verarbeitung eines Halbleiterwafers sowie Zusammenbau und Prüfung jeder einzelnen integrierten Schaltung, die in der EU im Wesentlichen noch nicht vorhanden ist oder zu deren Bau man sich verpflichtet hat und die unter anderem bessere Leistung, Prozessinnovation oder Energie- und Umweltleistung ermöglichen. Auf diese Weise sollen die integrierten Produktionsanlagen einen Beitrag zur Versorgungssicherheit des europäischen Binnenmarktes leisten. Das Gesetz nennt einen Kriterienkatalog, welche Anforderungen eine integrierte Produktionsanlage erfüllen sollte. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang, dass eine integrierte Produktionsanlage garantiert, nicht der extraterritorialen Anwendung von Gemeinwohlverpflichtungen von Drittländern in einer Weise unterworfen zu sein, welche die Versorgungssicherheit kritischer Sektoren in der EU beeinträchtigt.
Art. 11 betrifft sogenannte „Open EU Foundries“: Diese sind ebenfalls „First-of-a-kind Facilities“ in der EU, die Produktionskapazitäten für unabhängige Unternehmen bereitstellen und damit zur Versorgungssicherheit im Binnenmarkt beitragen. Auch hier werden verschiedene, von diesen Unternehmen zu erfüllende Anforderungen benannt – unter anderem positive Auswirkungen auf die EU-Halbleiter-Wertschöpfungskette oder die Investition in Chips der nächsten Generation.
Ein detailliertes Bewerbungs- und Anerkennungsverfahren mit Entscheidungshoheit der EU-Kommission für „Integrated Production Facilities“ und „Open EU Foundries“ regelt Art. 12: Soweit Chip-Produktionsanlagen als eine dieser Facilities anerkannt sind, dienen sie dem öffentlichen Interesse und genießen daher priorisierte Behandlung in den Mitgliedstaaten – beispielsweise bei der Erteilung von Genehmigungen und zur Vereinfachung sowie Beschleunigung von Administrativprozessen (Art. 14).
Marktmonitoring und Krisenmanagement
Das vierte Kapitel der Entwurfsfassung des EU Chips-Act trägt den Titel „Überwachung und Krisenreaktion“. Neben der Förderung und Entwicklung eigener Produktionskapazitäten im Halbleitersektor geht es hier
vorrangig darum, Versorgungsengpässe zeitnah festzustellen und darauf schnell, angemessen und politisch sowie behördlich koordiniert mitgliedstaatenübergreifend zu reagieren.
Hierzu wird in Art. 15 die regelmäßige Überwachung der Halbleiter-Lieferkette vorgeschrieben. Diese
Überwachung umfasst die Einbeziehung von Frühwarnindikatoren („Union Risk Assessment“, Art. 16) sowie
Nachfrageschwankungen und Unterbrechungen der Lieferkette. Bei eingetretener Gefahrenlage sieht das Gesetz die Einberufung des „European Semiconductor Boards“ („Establishment and Tasks“ gem. Art. 23) vor, um über die koordinierte Beschaffung von Halbleiterprodukten zu entscheiden und Lösungen zur Unterbrechung der Lieferkette zu ermitteln. Zur mitgliedstaatlichen Überwachungsaufgabe gehört gemäß Art. 17 ebenso, die wichtigsten Marktteilnehmer entlang der Halbleiter-Lieferkette in ihrem Hoheitsgebiet zu ermitteln.
Art. 18 beschreibt die Aktivierung des „Krisenstadiums“ durch die EU-Kommission bei Vorliegen einer „Halbleiterkrise“ – also den Fall, dass schwerwiegende Störungen in der Versorgung mit Halbleitern auftreten, die zu erheblichen Engpässen führen und hierdurch kritische Sektoren und die Wirtschaft erheblich negativ beeinträchtigen. Mit der Aktivierung des Krisenstadiums gehen verschiedene weitere Maßnahmen einher, die gem. Art. 19 Bestandteil der „Emergency Toolbox“ sind:
- Einholung von Informationen unter anderem über Produktionskapazitäten von Unternehmen (Art. 20, bußgeldbewehrt),
- die Priorisierung von Aufträgen im Hinblick auf krisenrelevante Produkte (Art.21 und damit einhergehend grundsätzlich die Verpflichtung der Unternehmen, Aufträge mit Prioritätseinstufung anzunehmen) sowie
- die mitgliedstaatlich-gemeinsame und durch die EU-Kommission koordinierte Beschaffung von Halbleiterprodukten (Art. 22).
Gremien
Governance-Strukturen und Bußgelder werden in den Kapiteln 5 und 6 bestimmt. Die Einrichtung und die Aufgaben des „European Semiconductor Boards“ mit seiner Hauptberatungsaufgabe gegenüber der EU Kommission richten sich nach den Art. 23, 24 und 25. Das Board setzt sich aus Vertretern der Mitgliedstaaten zusammen – den Vorsitz führt ein EU-Kommissionsvertreter und es hält mindestens einmal jährlich eine ordentliche Sitzung ab. Als Beobachter können beispielsweise Organisationen eingeladen werden, die Interessen der Halbleiterindustrie vertreten, sowie Forschungs- und Technologieorganisationen.
Gemäß Art. 26 benennt jeder Mitgliedstaat mindestens eine für die Umsetzung der Vorgaben aus dem EU Chips-Act zuständige Behörde. Mit Blick auf die Sanktionen und Bußgelder unterscheidet Art. 28 zwischen einem zahlenmäßig festgesetzten Bußgeld bis maximal 300.000 e und einem maximalen prozentualen Bußgeld von 1,5 % des durchschnittlichen Tagesumsatzes des vorangegangenen Geschäftsjahres eines Unternehmens. Gemäß Art. 33 wird die Arbeit der EU-Kommission von einem Halbleiterausschuss („Semiconductor Committee“) unterstützt.
Fazit und Ausblick
Auf den ersten Blick scheint der EU mit dem Chips-Act und seinem flankierenden Rahmenwerk ein sinnvoller Vorstoß geglückt zu sein, um die technologische Souveränität im Halbleitersegment auf globalen Märkten wiederherzustellen.
Kommission und europäischer Gesetzgeber legen einen abgestimmten Katalog vor, der sich aus kurzfristigen Sofortmaßnahmen, mittelfristigen Monitoring-Komponenten inklusive einer Risikoanalyse und einer langfristigen und strategischen (finanziellen) Chip-Förderung zusammensetzt. Auf diese Weise werden wirtschaftliche Unterstützung, Informationsaustausch, Regulierung und Überwachung sowie mitgliedstaatliche und globale Kooperation in einer zentralen Frage der 2020er-Jahre zusammengeführt. Dies zeigt ebenso, dass der Entwurf des EU Chips-Act nicht bei der Halbleiterentwicklung und -fertigung endet, sondern in den ganzheitlichen europäischen Rahmen zur strategischen Entwicklung digitaler Souveränität einzuordnen ist – ein Thema, das zurzeit an vielen Fronten angegangen wird.
Nichtsdestotrotz wird sich in der Praxis erst noch zeigen müssen, wie effektiv das neue Regelungskonzept in seiner Gesamtheit tatsächlich ist – erste Hinweise liefert hier sicherlich die „Common Union Toolbox“, die einige Maßnahmen des EU Chips-Act vorwegnimmt.
In jedem Fall stellt aber allein die Notwendigkeit für die neue europäische Gesetzgebung zur Technologie Souveränität das Ergebnis eines bereits seit Jahrzehnten währenden Technologieausverkaufs dar, der nun innerhalb weniger Jahre rückgängig gemacht werden soll, nachdem die wirtschaftlichen und politischen Folgen vor allem in den letzten zwei Jahren mehr als deutlich geworden sind. Ob dies tatsächlich vornehmlich durch Gesetze, politische Strategien und Fördermittel möglich ist, wird sich zeigen. GAIA-X kann in diesem Zusammenhang durchaus als ein europäisches Projekt zitiert werden, dessen angekündigte Erfolge mit Blick auf die Erlangung von Technologie-Souveränität bislang weitgehend ausgeblieben sind.
Umso befremdlicher wirkt es, wenn die europäischen Dokumente zum Chips-Act von „globalen Führungsrollen“ und „Quantenchips“ sprechen, wo doch zuvorderst und kurzfristig nur die Versorgungssicherheit mit Halbleiterbauteilen gewährleistet werden soll. Längerfristig steht an dieser Stelle die generelle Frage im Raum, inwieweit man technische Innovationen politisch triggern kann.
Noch ist das Gesetzgebungsverfahren zum EU Chips-Act zwar nicht abgeschlossen, aber der vorliegende Entwurf und sein Rahmenwerk geben schon jetzt einen deutlichen Ausblick auf die Zukunft dieses Rechtsakts, der nach seinem Inkrafttreten unmittelbar in allen europäischen Mitgliedstaaten gelten wird.
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Literatur
[1] European Commission, European Chips Act: Communication, Regulation, Joint Undertaking and Recommendation, Überblicksbeitrag, Februar 2022, https://digital-strategy.ec.europa.eu/en/library/european-chips-act-communication-regulation-joint-undertaking-and-recommendation
[2] Europäische Kommission, Ein Chip-Gesetz für Europa, Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen, Februar 2022, https://ec.europa.eu/newsroom/dae/redirection/document/83088
[3] European Commission, Proposal for a Regulation of the European Parliament and of the Council establishing a framework of measures for strengthening Europe‘s semiconductor ecosystem (Chips Act), Februar 2022, https://ec.europa.eu/newsroom/dae/redirection/document/83090 – nebst Anhängen https://ec.europa.eu/newsroom/dae/redirection/document/83084
[4] Europäische Kommission, Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EU) 2021/2085 zur Gründung der Gemeinsamen Unternehmen im Rahmen von „Horizont Europa“ hinsichtlich des Gemeinsamen Unternehmens für Chips, Februar 2022, https://ec.europa.eu/newsroom/dae/redirection/document/83089
[5] Europäische Kommission, Empfehlung der Kommission … über ein gemeinsames Instrumentarium der Union zur Behebung von Lieferengpässen bei Halbleitern und einen EU-Mechanismus zur Überwachung des Halbleiter-Ökosystems, Februar 2022, https://ec.europa.eu/newsroom/dae/redirection/document/83093