Mit <kes>+ lesen

Von gar nicht da bis viel zu nah

Nicht jeder Führungsstil ist für die Unternehmenskultur und das Zusammenarbeiten förderlich. Unser Autor hat zehn Aspekte identifiziert, die das Entwickeln befähigender Firmenkulturen hemmen und gibt Tipps zum Umgang damit sowie zur Aktivierung von Änderungspotenzial.

Boris GrundlAllgemein
Lesezeit 7 Min.

Zehn Führungspersönlichkeiten und wie man mit ihnen umgeht

Führungsstile unterscheiden sich zwar beinahe so sehr wie die Menschen dahinter, dennoch kennt wohl jede:r mindestens einen bestimmten Typus, der häufig in Chefetagen oder dem mittleren Management anzutreffen ist. Im Folgenden sind extreme Ausprägungen von zehn häufigen Erscheinungsformen im Umfeld der Führung von Mitarbeiter:inne:n nebst Möglichkeiten für eine Verbesserung beschrieben. Im IT-Bereich ist es übrigens nicht selten wichtig, überhaupt erst einmal eine positive Grundhaltung gegenüber Veränderungen aufzubauen.

Abwesende…

Um ein Team gut zu leiten, benötigen Führungs kräfte ein gewisses Maß an Distanz. Doch schießen einige dabei übers Ziel hinaus und geben Verantwortung vollständig an ihre Mitarbeiter:innen ab – selbst im Notfall. Dadurch eliminieren Leitende die Möglichkeit kommu nikativer Fehler und lassen anderen scheinbar freie Hand – in Wirklichkeit jedoch verweigern sie ihre Aufgabe als Wegweiser.

Hier gilt das „Prinzip der distanzierten Nähe“: Im Sinne eines  motivierenden Arbeitsklimas wahrt eine gute Führung die Balance zwischen Distanz und Nähe. Regelmäßige, fest terminierte Gesprächsrunden inklusive Reminder erinnern zum Abtauchen Neigende an ihre Mentorenfunktion ihren Schützlingen gegenüber. Wer über sich einen durch Abwesenheit glänzenden Chef weiß, kann beispielsweise einen wöchentlichen Abstimmungsdialog anregen und sollte dann beharrlich auf das Einhalten dieses Austauschs achten.

…und Lieblinge

„Everybody’s Darling“ vermeidet Konflikte – statt mit offenen Karten zu spielen und Fehler anzusprechen, lobt oder beschwichtigt dieser Typus und nimmt verständnisvoll die Position seines Gegenübers ein. Doch übertriebenes Harmoniebedürfnis erstickt Entwicklungschancen: Nur wer weiß, dass und wo es hakt, kann etwas ändern. Schlucken Führende kritische Worte ungesagt hinunter, verschenken sie das Potenzial von Mitarbeiter:inne:n und mindern die Wertschätzung für erbrachte Leistungen.

Wer dem Prinzip der distanzierten Nähe folgt, öffnet Raum für konstruktive Diskussionen. Harmoniebedürftige sollten üben, Hemmungen zu überwinden und das offene Gespräch zu suchen. Ein zielorientierter Diskurs ohne Emotionsschäume begünstigt das Treffen fundierter Entscheidungen und verleiht dem Gegenüber die Chance, sich zu entfalten. Siezen statt Duzen oder die hanseatische Form „Vorname plus Sie“ wirken bei Bedarf ebenfalls als emotionaler Abstandhalter.

Wartende

Dieser Archetyp schaut erst mal, was passiert – frei nach dem Motto „Irgendjemand macht das schon!“ Solch ein Handeln verleitet – ähnlich wie die Abwesenheit eines Führenden – zu einer Fehlinterpretation der Freiheit und des Zutrauens. In Wirklichkeit versagen Abwartende der Arbeit anderer den Respekt: Wer sich bei Mitarbeiter:inne:n nicht auf Stand hält, weiß weder, wer gute Arbeit vollbringt, noch registriert er/sie Unstimmigkeiten. Positive Kontrolle über die Leistungen des Teams hält hingegen Mitarbeiter:innen bei der Stange. Hier hilft das Fixieren sogenannter ergebnisorientierter Aufgabenbeschreibungen (EOA). Regelmäßige Überprüfung dieser Beschreibungen stärken sowohl die Selbstwirksamkeit der Mitarbeiter:innen als auch das Verantwortungsgefühl für Führende.

Shootingstars

Gerade neu im Unternehmen übernehmen diese Führungspersonen gerne jegliche Aufgaben, die ihnen zugerufen werden, um gut dazustehen. Wer viel schafft, macht einen guten Job? Nein, hier geraten Aktion und Aktionismus durcheinander – ein Irrtum, dem viele erliegen und der im schlimmsten Fall zu schwammiger Performance führt. Gute Leitende fokussieren sich und andere und beantworten unbeirrt die Frage: Was hilft, um den nächsten Schritt zu erreichen?

Besserwissende

Diese Art von Führungsmenschen beschreibt knapp und treffend die Klage: „Immer muss ich alles selber machen.“ Gerade im komplexen Technologie-Bereich ist eine derartige Einstellung häufiger anzutreffen: Die Kenntnisse decken „gefühlt“ alles von Algorithmus bis Zero Trust ab. Warum also sollte jemand anderes anstehende Arbeiten übernehmen und es womöglich schlechter bewerkstelligen? Bringt es den jungen Entwickler nicht weiter, wenn ich ihm zeige, wie es geht? Solche Fragen spuken im Kopf eines Besserwissenden herum. Doch langjährige Erfahrung zeigt, dass Kennen nicht gleich Können bedeutet und dass kein Mensch ohne Konzentrations- und womöglich auch gesundheitliche Einschränkungen alles kann.

Die Challenge: Lerne abzugeben! Aufgaben nach sorgfältig ausgewählten Kernkompetenzen zu verteilen, bringt mehr für den Einzelnen und das Team – eine Transformation hin zu vertrauensvollem Delegieren ermöglicht Selbermacher:inne:n eine größere Ergebnisakzeptanz. Geführte sollten unmittelbare Konfrontationen mit einer/einem Rechthaber:in vermeiden, zunächst Argumente sammeln und einen oder zwei Tage später wieder in den Dialog gehen.

Einzelkämpfer:innen

Stets das Ziel vor Augen, versperren sich einige Leitungspersönlichkeiten zweiten Meinungen ganz und gar. „Mein Weg oder kein Weg“ lautet ihre Devise – zieht niemand mit, dann macht mans halt allein. Aber Achtung: Schnell stehen solche Leitwölfe und -wölfinnen einsamer da als gewünscht!

Gute Leader verstehen oder erlernen die Notwendigkeit konkret abgesteckter Verantwortungsbereiche. Darf jede:r seinen oder ihren Teil zum Projekt beitragen, entfalten sich Mitarbeiter:innen umso mehr. Daher formulieren erfolgreiche Führungskräfte einen Zweck, mit dessen Kern sich jede:r Einzelne identifizieren kann, und definieren klar verteilte Aufgaben.

Herrscher:innen

Andere Ansichten gibt es auch im Regiment der „Herrschenden“ nicht: Von oben kommt eine Ansage und nach dieser hat sich die Gefolgschaft zu richten. Manche spekulieren auf Ansehen in höheren Etagen, anderen liegt Regieren oder Regiert-Werden in der Natur – so schlicht sieht das Weltbild bisweilen aus. Doch für das Fortkommen einer Firma oder eines Teams ist derart autoritäres Delegieren nicht dienlich.

Statt nur zu Befehlen sollten die „Regenten“ lernen, im Tempo des Gegenübers zuzuhören und Fragen zu stellen. Auch ein geduldiges Aussprechen-Lassen gehört zu den Übungen, denen sie sich stellen müssen. Als Trigger dient die Frage: Wie wecke ich bei einem Gegenüber die Bereitschaft, mich verstehen zu wollen? Das gestattet Gesprächspartner:inne:n, über Probleme nachzudenken und endlich selbst Lösung anzugehen, statt passiv der Chef-Entscheidung zu harren.

Arbeitstiere

Ob im Management, bei leitenden Angestellten oder bei Trainees: Arbeitstiere sitzen überall – sie übernehmen, wenn Not am Mann oder an der Frau ist. Aufgaben zu erfüllen, treibt sie an. Mit „Was steht alles an?“ starten sie ihren Tag, machen Häkchen, wuseln hier, helfen da, hetzen zu Meetings, … um sich am Ende des Tages zu fragen, was sie nun eigentlich geschafft haben.

Die Personalforschung bezeichnet solche Menschen als „Gießkannen“. Ihre Pendants, die „Brenngläser“, orientieren sich demgegenüber zielgerichtet an den gewünschten Ergebnissen. Im Verständnis des Grundl Leadership Instituts bedeutet Ergebnisorientiertheit dabei, sich auf denjenigen Teil der Ergebnisse zu konzentrieren, den man selbst beeinflussen kann – und dort der oder die Beste zu werden, der/die man sein kann.

Zerstreute

Der Terminkalender platzt gleich? Egal, „Zerstreuten“ kommt kein Nein über die Lippen. Nur im Notfall wechseln Projekte den Zuständigkeitsbereich. Dabei kommt nichts Halbes und nichts Ganzes heraus. Fokussieren Führende auf einige wenige Aufgabenfelder und nähern sich damit dem „Brennglas“ an, erreichen sie mit demselben Aufwand deutlich bessere Ergebnisse. Wer von einer zerstreuten Kraft geführt wird, sollte hartnäckig regelmäßige Reportings anfordern und sich von Kollegen den Rücken stärken lassen.

Absahner:innen

Absahner:innen ernten alle Lorbeeren – auch die, für die andere geackert haben. Ihre Energie kanalisieren sie ins persönliche Fortkommen und leben diese Steuerung auch vor. Das Verlangen nach Netzwerk und Anerkennung bremst jedoch das ehrliche Interesse an guten Resultaten fürs Unternehmen aus: Für eine:n Absahner:in zu arbeiten, zermürbt besonders stark. Schnell verspielen solche Egoisten Vertrauen und verpulvern die Energie ihrer Mitarbeiter:innen; schlechte Leistungen und Kündigungen folgen.

Geistige Transformation weg von der eigenen Person hin zum Wunsch nach guten Firmenergebnissen erzeugt hingegen Motivation: Dieser intrinsische Wunsch setzt positive Kräfte bei sich und im Team frei. Entscheidend ist das Zusammenspiel zwischen dem, was das Unternehmen jedem persönlich bietet, und der Selbstverantwortung jedes/
jeder Einzelnen. Dazu begeben sich Betroffene am besten auf eine Reise nach innen: Wer bin ich? Was sind meine Stärken? Was kann ich? Wie kann ich meine Stärken gut anbringen? Was halte ich Tag für Tag aus? So kristallisiert sich Schritt für Schritt der eigene Wesenskern heraus. Ein firmenfremder Standpunkt und Orientierung von außen können dabei wertvolle Unterstützung liefern.

 

Boris Grundls ist Inhaber und Gründer der Grundl Leadership Institut GmbH (GLI, www.grundl-institut.de). Neben seiner Tätigkeit als Managementberater und Führungstrainer ist er Buchautor und hält Vorträge zu den Themen Persönlichkeitsentwicklung, Selbstverantwortung und Mitarbeiterführung.

Diesen Beitrag teilen: