Mehr als 1 Bit!
Bunt ist das Dasein … und doch trifft man im Leben verbreitet auf Schwarz-Weiß-Denken. Da geht es dann vor allem um „die“ Menschen, „die“ IT, „die“ Digitalisierung, „das“ Darknet oder auch „die“ künstliche Intelligenz (KI) – Dinge, Leute, Ideen oder was auch immer sind dann pauschal „gut“ oder „böse“, wahr oder falsch, hilfreich oder schädlich. Sicher gibt es auch außerhalb der Mathematik mal klare Sachlagen, aber meist ist es doch „etwas“ komplizierter. Wer alles auf null oder eins reduziert, kann jedenfalls nicht erwarten, dass sich ein differenziertes Bild ergibt.
Und wer sich schon am „ob“ aufreibt, wird nicht zum „wie“ vordringen. Ich werde nie vergessen, wie ich vor langer Zeit als Teilnehmer einer Rhetorikschulung mit anderen über Sterbehilfe debattieren sollte. Nach dem Eingangsstatement stellten wir fest, dass wir alle „dafür“ waren. Wir erwarteten zunächst eine ziemlich langweilige halbe Stunde – worüber sollten wir noch diskutieren? Doch wir fanden – befreit von den üblichen Grabenkampfpositionen „ja“ und „nein“ – sehr schnell heraus, dass so ziemlich jeder von uns eine andere Vorstellung davon hatte, wie das Ganze konkret umzusetzen wäre. Und darüber ließ sich ebenfalls trefflich „streiten“. Im Ergebnis waren sich einige von uns nicht mehr sicher – sie waren zwar „an sich“ noch immer für Sterbehilfe, sahen aber keinen praktikablen Weg, wie man sie sinnvoll regulieren könnte.
Bei der Diskussion um Einsatz und Möglichkeiten von KI bekommt man ebenfalls bisweilen den Eindruck, dass es um die Entscheidung geht, ob sie nun „Büchse der Pandora“ (bloß nicht aufmachen) oder „Heilsbringer“ (möglichst schnell und vorbehaltlos willkommen heißen) ist. Auf dem BSI-Kongress (s. a. S. 31) haben mehrere Experten daher für eine subtilere Sicht auf die verschiedenen Stufen von „KI“ mit ihren jeweiligen Möglichkeiten geworben – und für einen schrittweisen Aufbau von Vertrauen in entsprechende Systeme.
So gibt es beispielsweise mit CIMON (Crew Interactive Mobile CompanioN) heute tatsächlich ein dialogfähiges KI-System, das auch schon auf der internationalen Raumstation ISS im Einsatz war. Das Assistenzsystem soll zukünftig etwa Anleitung zu Reparaturen geben oder sogar auf langen Reisen zum Mars als neutraler Begleiter fungieren, wenn psychologische Probleme auftreten. Nun gibt man CIMON aber nicht gleich die allumfassende Steuerungshoheit über die ISS (Hallo, HAL!), sondern beschränkt sich zunächst auf sprachliche Interaktion und Übertragung von Wissen und vielleicht Empfehlungen – ganz so, wie man (hoffentlich) nicht blind den Anweisungen seines Navis folgt oder Siri und Alexa „einfach machen“ lässt.
Vielleicht ist der Wunsch nach einem (über-?) mächtigen technischen Begleiter ja auch der Überforderung in einer sich schnell verändernden und komplexer werdenden Welt mit zu wenig Fachkräften und Budget geschuldet – eine sofortige umfassende Lösung erscheint hier sehr verlockend. Aber so weit sind wir noch nicht. Darum ist auch die Entscheidung über den „großen Sprung“ noch nicht akut und sollte hinter der Evaluierung von „vielen kleinen Schritten“ zurückstehen. Dann kann „die Digitalisierung“ in angemessenen Abstufungen erfolgen und gelingen.